Jahresbericht 2020, Nr. 10 - Kostenerstattungen des Landes bei Gewährung von Jugendhilfe für unbegleitete ausländische Kinder und Jugendliche

- Abrechnungsverfahren mit erheblichen Mängeln -

Wesentliches Ergebnis der Prüfung

Das Landesamt für Soziales, Jugend und Versorgung prüfte die Erstattungsansprüche der örtlichen Träger der Jugendhilfe nicht ordnungsgemäß:

  • Kosten von über 2,5 Mio. € wurden erstattet, obwohl die Feststellung der Minderjährigkeit nicht oder nicht ordnungsgemäß durchgeführt oder nicht dokumentiert worden war.
  • Kostenerstattungen von 872.000 € erfolgten ohne die erforderliche Klärung des ausländerrechtlichen Status von jungen Volljährigen.
  • Entgegen den gesetzlichen Vorgaben wurden Kosten von mehr als 272.000 € in Fällen erstattet, in denen Jugendhilfe nicht innerhalb eines Monats nach der Einreise gewährt worden war oder Leistungsunterbrechungen von mehr als drei Monaten vorgelegen hatten.
  • Ohne anspruchsbegründende Unterlagen wie beispielsweise Anträge und Hilfepläne beizuziehen, erstattete das Landesamt Kosten von über 3,1 Mio. €.

Das für Jugend zuständige Ministerium hatte die Angemessenheit der Fallkostenpauschale seit 2015 nicht geprüft.

Forderungen des Rechnungshofs · Stellungnahmen der Landesregierung · Parlamentarische Behandlung

(Teilziffer 3 des Jahresberichtsbeitrags)

3.1 Zu den nachstehenden Forderungen wurden die gebotenen Folgerungen bereits gezogen oder eingeleitet:

Der Rechnungshof hatte gefordert,

a) darauf hinzuwirken, dass im Rahmen der vorläufigen Inobhutnahme ausländischer Personen deren Minderjährigkeit geprüft und die Altersfeststellung ordnungsgemäß dokumentiert wird,

b) darauf hinzuwirken, dass der ausländerrechtliche Status volljähriger Leistungsempfänger nachgewiesen wird,

c) darauf hinzuwirken, dass die Voraussetzungen für Kostenerstattungen in Bezug auf die Monatsfrist, innerhalb der nach der Einreise Jugendhilfe gewährt wird, und die maximale dreimonatige Unterbrechung der Hilfegewährung nachvollziehbar geprüft werden,

d) darauf hinzuwirken, dass im Rahmen des Abrechnungsverfahrens die eingereichten Kostenrechnungen nebst begründenden Unterlagen vertieft geprüft werden,

e) in den unter Buchstabe a bis d aufgeführten Einzelfällen die Rückforderung von Leistungen zu prüfen,

f) die Angemessenheit der Fallkostenpauschale zu überprüfen.

3.2 Folgende Forderung ist nicht erledigt:

Der Rechnungshof hat gefordert, über die Ergebnisse der eingeleiteten Maßnahmen zu Nr. 3.1 Buchstaben e und f zu berichten.

Die Landesregierung hat für das Entlastungsverfahren zu dem Beitrag folgende Stellungnahme abgegeben (Drucksache 17/11850 S. 17):

"Zu Ziffer 3.2 i. V. m. Ziffer 3.1 e) und f):

Das Ressort teilt die grundsätzliche Rechtsauffassung des Rechnungshofes in einer Vielzahl von Fällen. In insgesamt 85 Fällen hält das Ministerium für Familie, Frauen, Jugend, Integration und Verbraucherschutz (MFFJIV) es für erforderlich, die Fallakten dahingehend zu überprüfen, ob die entsprechenden Anspruchsvoraussetzungen vorgelegen haben. In Abhängigkeit der Prüfergebnisse werden etwaige Rückforderungsansprüche entsprechend geltend gemacht. Diese erneute Überprüfung der entsprechenden Fallakten ist ein sukzessiver Prozess, welcher Ende 2021 abgeschlossen sein soll.

Der Zeitraum wurde so lange gewählt, damit die Erstattungen an die Jugendämter weiterhin zeitnah erfolgen können. Ein abschließender Bericht zu den 85 Prüffällen kann daher erst Anfang 2022 erfolgen. Aktuell werden die Vorbereitungen getroffen um die Rückforderungen zu prüfen, eine Mitteilung von geprüften Sachverhalten wird erst im Sommer möglich sein.

In den meisten Fällen fehlen anspruchsbegründende Unterlagen, welche nun sukzessive nachgefordert werden. Die Notwendigkeit der Vollständigkeit der Anträge auf Kostenerstattung steht außer Frage. Gleichwohl ist es wichtig darauf hinzuweisen, dass ein Großteil der Fälle, die geprüft wurden, in die Hochzeit der Aufnahme von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen fiel.

Die Überprüfung der Angemessenheit der Fallkostenpauschale wurde angemahnt. Das MFFJIV hat die Schwerpunktjugendämter mit Schreiben vom November 2019 um eine Stellungnahme zur Prüfungsmitteilung und zu den dort vorgetragenen Kritikpunkten gebeten. Bislang ist noch keine schriftliche Rückmeldung erfolgt, jedoch erging die Bitte der Kommunalen Spitzenverbände um einen Gesprächstermin. Das Gespräch ist für Mai terminiert. Ob der Termin wie geplant gehalten werden kann, bleibt angesichts des Coronavirus abzuwarten."

Der Rechnungshof nimmt bei Bedarf zum Bericht der Landesregierung Stellung.

Zu Ziffer 3.1 e:

Zur Stellungnahme der Landesregierung zur Forderung, in den aufgeführten Einzelfällen die Rückforderung von Leistungen zu prüfen, merkt der Rechnungshof an:

Die Landesregierung hat die Gründe für die Begrenzung auf 85 zu überprüfende Fälle nicht näher erläutert. Im Hinblick auf den angestrebten Überprüfungszeitraum sollte dafür Sorge getragen werden, dass Rückforderungsansprüche nicht verjähren.

Der Haushalts- und Finanzausschuss hat auf der Grundlage des Vor­schlags der Rechnungsprüfungskommission dem Landtag folgenden Beschluss empfohlen (Drucksache 17/12710 S. 8):

"Es wird zustimmend zur Kenntnis genommen, dass künftig für die Prüfungen der Minderjährigkeit in Obhut genommener ausländischer Personen, des ausländerrechtlichen Status volljähriger Leistungsempfänger sowie der eingereichten Kostenrechnungen weitere Informationen und Nachweise angefordert werden.

Die Landesregierung wird aufgefordert, darauf hinzuwirken,

a) dass das Landesamt sämtliche Fälle, in denen der Rechnungshof Mängel festgestellt hat, in die zugesagte Prüfung der Rückforderung von Leistungen einbezieht und hierbei darauf achtet, dass Rückforderungsansprüche nicht verjähren,

b) dass die Angemessenheit der Fallkostenpauschale möglichst bald geprüft wird,

und über die Ergebnisse dieser Prüfungen zu berichten."

Der Landtag hat diesen Beschluss im August 2020 gefasst.

Die Landesregierung hat dem Landtag wie folgt berichtet (Drucksache 17/14372 S. 10):

"Zu Buchstabe a):

Nach der Prüfung des Rechnungshofes hält das Ministerium für Frauen, Familie Jugend, Integration und Verbraucherschutz (MFFJIV) es für erforderlich, in den bemängelten Prüffällen das Vorliegen der Anspruchsvoraussetzungen zu überprüfen, sofern sich aufgrund der Verjährungszeiträume eine Rückforderung realisieren lässt. Derzeit fordert das Landesamt für Soziales, Jugend und Versorgung (LSJV) von den betreffenden örtlichen Jugendämtern sukzessive die anspruchsbegründenden Unterlagen an und überprüft diese auf eine mögliche Rückforderung von Leistungen. In den Fällen, in denen in absehbarer Zeit die Verjährung von Rückforderungsansprüchen droht, geht das LSJV auf die örtlichen Jugendhilfeträger mit dem Ziel zu, die Erklärung über den Verzicht auf die Einrede der Verjährung einzuholen.

Zu Buchstabe b):

Die Schwerpunktjugendämter wurden über die Kommunalen Spitzenverbände (KSV) im November 2019 um eine Stellungnahme gebeten. Ein auf Bitten der kommunalen Seite vereinbarter Gesprächstermin für eine mündliche Erörterung war für Mai 2020 geplant, musste jedoch aufgrund der Corona-Lage abgesagt werden.
Das MFFJIV steht zur der Thematik weiterhin in Gesprächen mit den KSV und wartet derzeit auf eine abschließende Rückmeldung. Im Rahmen der bisherigen Gespräche wurde deutlich, dass von kommunaler Seite voraussichtlich die Forderung nach einer Erhöhung der Fallkostenpauschale zu erwarten sein wird."

Der Rechnungshof nimmt bei Bedarf zum Bericht der Landesregierung Stellung.

Zu Buchstabe b:

Zur Stellungnahme der Landesregierung zur Forderung des Landtags, darauf hinzuwirken, dass die Angemessenheit der Fallpauschale möglichst bald überprüft wird, merkt der Rechnungshof an:

Das mit den kommunalen Spitzenverbänden angestrebte Gespräch hätte auch unter Einhaltung der coronabedingten Rahmenbedingungen durchgeführt werden können. Nach den Feststellungen des Rechnungshofs war die Fallkos­tenpauschale überhöht. Der zugrunde gelegte Zeitraum war je nach Schwerpunktjugendamt durchschnittlich um den Faktor 1,1 bis nahezu 3 zu hoch.

Der Haushalts- und Finanzausschuss hat auf der Grundlage des Vor­schlags der Rechnungsprüfungskommission dem Landtag folgenden Beschluss empfohlen (Drucksache 18/1075 S. 18):

"Die Landesregierung wird aufgefordert, darauf hinzuwirken, dass

a) die Rückforderung von Leistungen in den vom Rechnungshof bemängelten Fällen, in denen sich aufgrund der Verjährungszeiträume eine Rückforderung noch realisieren lässt, möglichst bald überprüft wird,

b) die ausstehende Prüfung der Angemessenheit der Höhe der Fallkostenpauschale unter Berücksichtigung der Feststellungen des Rechnungshofs möglichst bald nachgeholt wird

und über die Ergebnisse zu berichten."

Der Landtag hat diesen Beschluss im September 2021 gefasst.

Die Landesregierung hat dem Landtag wie folgt berichtet (Drucksache 18/2128 S. 27):

"Zu Buchstabe a):

Im Rahmen der vorgenommenen Prüfungen wurden aktuell mehr als 80 % der angeführten Fälle überprüft und etwaige Rückforderungen geltend gemacht. In den noch nicht überprüften Fällen fehlen oft noch angeforderte Unterlagen, in einigen wenigen Fällen ist die Überprüfung komplexer als angenommen. Es ist zu erwarten, dass alle Fälle deutlich vor dem 31. Dezember 2022 überprüft und abgeschlossen sein werden.

Zu Buchstabe b):

Die Überprüfung der Fallkostenpauschale wurde den Kommunalen Spitzenverbänden (KSV) mehrfach übermittelt. Leider kam es aufgrund der vorrangig seitens der Kommunen zu leistenden Arbeit im Bereich der Pandemie hier nicht zu einem Ergebnis. Zuletzt fand am 8. November 2021 ein Gespräch statt und die KSV haben die Vorlage entsprechender Unterlagen zur Überprüfung zugesagt. Die Landesregierung wird die Verhandlungen mit den KSV weiterverfolgen und die Überprüfung der Fallkostenpauschale vornehmen."

Der Haushalts- und Finanzausschuss hat auf der Grundlage des Vor­schlags der Rechnungsprüfungskommission dem Landtag empfohlen, die Landesregierung aufzufordern, "über die Ergebnisse
– der abschließenden Prüfung der Rückforderung von Leistungen in den vom Rechnungshof bemängelten und nicht von einer Verjährung betroffenen Fällen,
– der Überprüfung der Angemessenheit der Höhe der Fallkostenpauschale unter Berücksichtigung der Feststellungen des Rechnungshofs" möglichst bald zu berichten (Drucksache 18/4302 S. 20).

Der Landtag hat diesen Beschluss im November 2022 gefasst.

Die Landesregierung hat dem Landtag wie folgt berichtet (Drucksache 18/5310 S. 28)

"Erster Spiegelstrich:

Bei den noch nicht abschließend geprüften elf Fällen handelt es sich um zehn Rückforderungen, welche den zwischen den Ländern staatsvertraglich vereinbarten Belastungsausgleich aus 2015-2017 betreffen. Diese wurden einvernehmlich unbefristet nach § 59 LHO niedergeschlagen. In einem Fall läuft die Rückforderung noch.

Zweiter Spiegelstrich:

Bei der Berechnung der Fallkostenpauschale wurden die Personalkostenverrechnungssätze für das Jahr 2015 zugrunde gelegt. Eine Anpassung an die Tarifentwicklung i. H. v. 15,5 % seit 2015 ist bisher nicht erfolgt. Trotz mehrfacher Aufforderung liegt noch keine Stellungnahme der Kommunalen Spitzenverbände (KSV) zu den Prüfungsfeststellungen des Rechnungshofs bezüglich der vereinbarten Höhe der Fallkostenpauschale vor. Nach Auskunft der KSV laufen aktuell die Gespräche mit den Schwerpunktjugendämtern."

Der Haushalts- und Finanzausschuss hat auf der Grundlage des Vorschlags der Rechnungsprüfungskommission dem Landtag empfohlen, die Landesregierung aufzufordern,

"über das Ergebnis der Überprüfung der vom Rechnungshof bemängelten und nicht von einer Verjährung oder Niederschlagung betroffenen Fällen und der Angemessenheit der Höhe der Fallkostenpauschale unter Berücksichtigung der Feststellungen des Rechnungshofs"

möglichst bald zu berichten (Drucksache 18/7526 S. 18).

Der Landtag hat diesen Beschluss im September 2023 gefasst.

Die Landesregierung hat dem Landtag wie folgt berichtet (Drucksache 18/8603 S. 28):

"Die Prüfung der vom Rechnungshof bemängelten und nicht von einer Verjährung betroffenen Fälle ist zwischenzeitlich abgeschlossen. Die Stellungnahme des Landesamtes für Soziales, Jugend und Versorgung ging am 22. Dezember 2023 beim Ministerium für Familie, Frauen, Kultur und Integration (MFFKI) als zuständigem Fachressort ein. Das darauf basierende Schreiben des MFFKI an den Landesrechnungshof befindet sich derzeit in der hausinternen Abstimmung.
Hinsichtlich der Überprüfung der Angemessenheit der Höhe der Fallkostenpauschale unter Berücksichtigung der Feststellungen des Rechnungshofs wurde dem Fachressort seitens Landkreistag und Städtetag zwischenzeitlich mitgeteilt, dass dazu Gespräche mit den Schwerpunktjugendämtern geführt wurden und sich eine Stellungnahme an das Fachressort ebenfalls in Arbeit befindet."