Vergleichende Betrachtung von Beihilfe und Heilfürsorge für Polizeibeamte (2019)

1. Allgemeines

1.1 Gegenstand und Umfang der Prüfung

Der Rechnungshof hatte 2013 die unentgeltliche Heilfürsorge für Polizeibeamte der damaligen Bereitschaftspolizei geprüft1 und dabei festgestellt, dass die Heilfürsorge im Jahr 2012 im Vergleich zur Beihilfe Mehrkosten von mindestens 832.000 €2 verursacht hatte.

Im Entlastungsverfahren3 wurde die Angelegenheit für erledigt erklärt, nachdem der Rechnungshof eine weitere Prüfung auf der Basis der Daten des beim Ärztlichen Dienst der damaligen Bereitschaftspolizei neu eingeführten Patientenverwaltungsprogramms angekündigt hatte.

In die aktuelle Untersuchung hat der Rechnungshof auch die im Koalitionsvertrag Rheinland-Pfalz 2016 - 20214 genannten weiteren Aspekte sowie erste Überlegungen zur möglichen Ausgestaltung einer Heilfürsorge für alle Polizeibeamten einbezogen.

1.2 Wesentliches Ergebnis

Die aktuelle vergleichende Betrachtung hat das Ergebnis der 2013 durchgeführten Prüfung bestätigt, dass das System der Heilfürsorge gegenüber der Beihilfe zu Mehrbelastungen für das Land führt:

- Hätten die knapp 10.800 beihilfeberechtigten Polizeibeamten und Polizeikommissar-Anwärter5 des Jahres 2015 die gleiche Personalstruktur (Alter, Geschlecht) wie die Heilfürsorgeberechtigten, hätten sich für diese Personengruppe nach dem Heilfürsorgesystem bereits Mehrausgaben von 806.000 € ergeben.

- Weitere Untersuchungen in den ausgabeintensiven Bereichen "ambulante ärztliche Behandlung", "zahnärztliche Behandlung einschließlich kieferorthopädischer Behandlung", "Arzneimittel" und "Krankenhaus stationär" zeigten für eine eventuelle Systemumstellung erhebliche finanzielle Auswirkungen auf.

  • Für die von einem externen Gutachter untersuchten Leistungsbereiche hätten sich bei der Gewährung von Heilfürsorge anstelle von Beihilfe Mehrausgaben von mehr als 1,1 Mio. € ergeben.
  • Heilfürsorge für den Bereich der stationären Krankenhausbehandlung (ohne Wahlleistung) hätte zu weiteren Mehrausgaben von fast 2,1 Mio. € geführt.
  • Für die verwaltungsmäßige Abwicklung der Heilfürsorge wären zudem Mehrausgaben von 0,6 Mio. € zu berücksichtigen, wenn die Aufgaben nicht dem Landesamt für Finanzen zugewiesen würden. Hinzu kommen ggf. Vergütungen an die Kassenärztliche und Kassenzahnärztliche Vereinigung von bis zu 0,5 Mio. € jährlich.
  • Nach den Annahmen des Ministeriums des Innern und für Sport6 müssten darüber hinaus Ausgaben von 2,0 Mio. € berücksichtigt werden, soweit die Heilfürsorge einen uneingeschränkten Anspruch auf Vorsorgekuren als Präventionsmaßnahme einschließen sollte.

- Bei den Anwärtern hätten sich im Bereich der ambulanten Arzneimittelversorgung und der ambulanten Facharztbehandlungen nur geringe Differenzen zwischen dem Aufwand für Beihilfe und dem für Heilfürsorge ergeben, die für eine Wahl zwischen beiden Systemen nicht entscheidend sind. Für die ambulante hausärztliche Versorgung wären die Ausgaben für eine Versorgung durch niedergelassene Ärzte niedriger als die Personalkosten des Ärztlichen Dienstes, die den entsprechenden Leistungen direkt zuzuordnen sind. Ein Ressourceneinsatz des Ärztlichen Dienstes für Heilfürsorge an den verschiedenen Ausbildungsstandorten der Anwärter dürfte angesichts des geringen medizinischen Versorgungsbedarfs nicht wirtschaftlich sein.

- Für die derzeit beihilfeberechtigten Polizeibeamten und Anwärter ergäben sich bei einer Umstellung auf Heilfürsorge Einsparungen in Höhe der Prämiendifferenz zwischen einer beihilfekonformen privaten Krankenversicherung und einer großen Anwartschaftsversicherung. Unter Berücksichtigung der bei Heilfürsorge höheren Eigenanteile bei Zahnersatzleistungen und der Kosten nicht mehr erstattungsfähiger Arzneimittel beliefe sich die durchschnittliche finanzielle Entlastung auf 2.120 €/Jahr für Polizeibeamte und 1.990 €/Jahr für Anwärter. Mögliche Eigenanteile für die Heilfürsorge sind hierbei nicht berücksichtigt.

- Die möglichen Prämienverluste der privaten Krankenversicherungen infolge einer Umstellung von beihilfekonformer Krankenversicherung auf eine große Anwartschaftsversicherung würden 20,65 Mio. € betragen. Bezogen auf die gesamten Prämieneinnahmen aus der Krankheitsvollversicherung sind dies 0,08 %.

- Die Vergütungseinbußen der niedergelassenen ambulanten Ärzte würden bei einem Wechsel aller Polizeibeamten (ohne Anwärter) in das System der Heilfürsorge 4,3 Mio. € betragen.

 

Nach Auffassung des Rechnungshofs sollten bei der Entscheidung zwischen Beihilfe und Heilfürsorge für Anwärter und Polizeibeamte folgende Gesichtspunkte berücksichtigt werden:

- Heilfürsorge und Beihilfe sind nicht Bestandteile der verfassungsrechtlich geschuldeten Alimentation des Beamten. Beide können jederzeit geändert werden, ohne dass die hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums (Artikel 33 Absatz 5 Grundgesetz) berührt wären7. Auf die umfassende Darstellung der rechtlichen Rahmenbedingungen durch den Wissenschaftlichen Dienst des Landtags Rheinland-Pfalz8 - u. a. auch zu der Frage, ob neben den Polizeibeamten weitere Beamtengruppen in ein Heilfürsorgesystem einzubeziehen wären - wird insoweit Bezug genommen.

Anstelle einer Einführung von Heilfürsorge für alle Polizeibeamten könnte deshalb auch die Regelung des § 113a LBG beibehalten und nach Ausscheiden der derzeit heilfürsorgeberechtigten Beamten eine vollständige Umstellung auf Beihilfe erfolgen. Außerdem könnte auch den derzeit Heilfürsorgeberechtigten ein Wechsel in die Beihilfe ermöglicht werden. Der Rechnungshof hatte bereits im Rahmen der Prüfung 2013 darauf hingewiesen, dass damit - ohne Qualitätseinbußen - Einsparungen bei den Leistungen im Krankheitsfall und Synergien durch ein landesweit einheitliches Absicherungsmodell/Leistungsrecht erreicht werden könnten.

- Heilfürsorge wird für die Berechtigten nach den vorgesehenen Leistungen keine qualitativ bessere oder weitergehende Versorgung im Krankheitsfall bedeuten, als diese im System der Beihilfe gewährleistet ist. Dem Gesichtspunkt, dass bei Polizeibeamten höhere Anforderungen an die Gesunderhaltung und Fitness zu stellen sind, ist durch andere Maßnahmen, wie die betriebsärztliche Betreuung, ein Gesundheitsmanagement, Dienstsport oder Umgestaltung der Arbeitsbedingungen wie Arbeitszeit u. ä., Rechnung zu tragen.

- Der notwendige Schutz von Patientendaten, die im Rahmen der Heilfürsorge anfallen, lässt deren Verwendung für andere als Behandlungs- und Abrechnungszwecke grundsätzlich nicht zu. Sowohl für den Ärztlichen Dienst als auch für niedergelassene Ärzte gilt im Rahmen der Heilfürsorge die ärztliche Schweigepflicht9. Allgemeine Erkenntnisse zu den ggf. mit der Dienstausübung verbundenen Krankheitsrisiken sind aus anderen Quellen zu erschließen.

- Zuletzt 2011 war der Fortbestand unentgeltlicher Heilfürsorge in Rheinland-Pfalz mit dem verstärkten Einsatz der Bereitschaftspolizei anlässlich von Veranstaltungen, bei denen zunehmend Gewalt gegen die eingesetzten Polizistinnen und Polizisten ausgeübt werde, begründet worden. Außerdem würden bei solchen Einsätzen auch Sanitätsdienste bzw. Polizeiärzte einbezogen, um eine unverzügliche medizinische Versorgung verletzter Beamter gewährleisten zu können.10 Der Rechnungshof hatte hierzu bereits bei der Prüfung 2013 darauf hingewiesen, dass - so das Bundesverwaltungsgericht - die Vorschriften über die Unfallfürsorge, insbesondere über das unentgeltliche Heilverfahren, dem erhöhten Dienstunfallrisiko in vollem Umfang Rechnung tragen11. Zudem können Leistungen, die der Ärztliche Dienst ohnehin und außerhalb der Heilfürsorge erbringt (z. B. medizinische Erstversorgung bei Einsätzen), nicht zur Begründung der unentgeltlichen Heilfürsorge herangezogen werden. Hinzu kommt, dass die Besonderheiten des jeweiligen Diestes, insbesondere der mit dem Posten- und Streifendienst sowie dem Nachtdienst verbundene Aufwand, mit der Polizeizulage und ggf. einer Erschwerniszulage abgegolten wird12.

- Die Gewährung von Heilfürsorge wäre im Vergleich zur Beihilfe mit höherem Aufwand verbunden. Im Interesse einer nachhaltigen Haushaltskonsolidierung sollte hierfür ein Ausgleich durch eine vom Grundgehalt einzubehaltende Eigenbeteiligung für Polizeibeamte vorgesehen werden, zumal für die derzeit Beihilfeberechtigten die Kostendämpfungspauschale13 (§ 66 Abs. 4 LBG) entfallen würde. Außerdem ist zu berücksichtigen, dass - so die ständige Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts14 - der Dienstherr den Beamten mit den Dienstbezügen unter anderem einen Durchschnittssatz der zu erwartenden Aufwendungen im Krankheitsfall zur Verfügung stellt, mit dem diese eine angemessene Krankenversicherung abschließen können, die einen Teil der voraussichtlichen Krankheitskosten abdeckt. Diesen Durchschnittssatz erhalten auch Heilfürsorgeberechtigte, die von entsprechenden Ausgaben weitgehend freigestellt sind. Mit einer Eigenbeteiligung könnte deshalb nicht nur ein Deckungsbeitrag zu den Mehraufwendungen für die Heilfürsorge erzielt, sondern auch einer "gewissen Überalimentation“ der Heifürsorgeberechtigten entgegengewirkt werden15.

- Inwieweit - ungeachtet der unterschiedlichen Besoldungshöhe in den Ländern - mit der Einführung von Heilfürsorge die Nachwuchsgewinnung erleichtert und die Attraktivität des Polizeidienstes in Rheinland-Pfalz gesteigert werden würde, ist offen. Probleme, die vorhandenen Planstellen zu besetzen, sind bislang nicht bekannt geworden. Zudem konnten in der Vergangenheit alle zur Verfügung gestellten Studienplätze für Anwärter besetzt werden.

Auch kann die Heilfürsorge innerhalb der Polizeiorganisation keinen Anreiz für die Übernahme einzelner besonders belastender Dienste setzen oder als Ausgleich für die damit verbundenen Belastungen dienen. Heilfürsorge würde - unabhängig vom konkreten Einsatz - für alle Polizeibeamten zu einem finanziellen Vorteil führen, weil Aufwendungen für die Vorsorge im Krankheitsfall weitgehend entfielen. Die Höhe des zusätzlich für andere Zwecke verfügbaren Einkommens wäre allein von der individuellen Situation des einzelnen Beamten abhängig. Steuerungsmöglichkeiten wären für das Land mit der Gewährung von Heilfürsorge nicht verbunden.

- Gesicherte Erkenntnisse zu dem Kreis der Behilfeberechtigten, die im Falle eines Systemwechsels Heilfürsorge in Anspruch nehmen würden, liegen nicht vor. Erfahrungsgemäß werden sich nicht alle Beihilfeberechtigten für die Heilfürsorge entscheiden16. Es ist deshalb damit zu rechnen, dass langfristig beide Systeme parallel vorzuhalten sind. Dies kann erhöhte Verwaltungskosten zur Folge haben, wenn für eine kleine Gruppe von Heilfürsorgeberechtigten entsprechend geschultes Personal und eine IT-Unterstützung zur Bearbeitung der Abrechnungen vorgehalten werden müssen.

- Ein Systemwechsel zur Heilfürsorge oder zur Beihilfe hat Auswirkungen auf den Stellenbedarf des Ärztlichen Dienstes. Ggf. können Leistungen gebündelt werden, die derzeit noch an mehreren Standorten erbracht werden.


  1. Prüfungsmitteilungen vom 12. November 2013, Az.:1-P-2120-11-1/2013; im Folgenden: Prüfung 2013.
  2. Aus Gründen der Übersichtlichkeit wurden in diesem Bericht Betragsangaben gerundet. Zur besseren Lesbarkeit wurden lediglich männliche Bezeichnungen verwendet, die die jeweilige weibliche Form mit einschließen.
  3. Jahresbericht 2014, Drucksache 16/3250, S. 117; Drucksache 16/3580, S. 23; Drucksache 16/3968, S. 9; Drucksache 16/4528, S. 7; Drucksache 16/5099, S. 43; Drucksache 16/5583, S. 17; Drucksache 16/6122, S. 20; Drucksache 17/900, S. 17.
  4. "Wir werden die Einführung der Heilfürsorge detailliert untersuchen. Dabei gilt es, neben den finanziellen Effekten für den Landeshaushalt und den Auswirkungen eines weiteren Systems auf die Gesundheitslandschaft des Landes auch und vor allem, die Auswirkungen für die einzelne Polizistin und den einzelnen Polizisten abzuwägen" (Koalitionsvertrag S. 83).
  5. Im Folgenden: Anwärter.
  6. Im Folgenden: Ministerium.
  7. BVerfGE 2 BvR 1978/09.
  8. Gutachten vom 3. Januar 2017 und Ergänzung vom 4. Oktober 2018, Az.: W 1/W 4/ 52-1680.
  9. Vgl. z. B. 7. Tätigkeitsbericht des Sächsischen Datenschutzbeauftragten vom 31. März 1999, Sächsischer Landtag Drs. 2/11359, S. 35 f.
  10. Drucksache 16/86.
  11. BVerwGE 2 C 37.02 vom 27. November 2003.
  12. Landesbesoldungsordnung A und B, Vorbemerkungen II Nr. 6 Abs. 3.
  13. Soweit Beihilfen gem. § 66 Abs. 1 Satz 3 LBG für wirtschaftlich nicht selbständige Ehegatten oder Lebenspartner sowie für Kinder geleistet werden, entfällt die Kostendämpfungspauschale nicht.
  14. BVerwG 2 C 36.02 vom 3. Juli 2003 m. w. N.
  15. So auch: Entwurf eines Landesgesetzes zur Änderung des Landesbeamtengesetzes Rheinland-Pfalz, des Landesbesoldungsgesetzes, des Rettungsdienstgesetzes und des Landesaufnahmegesetzes (Landeshaushaltsbegleitgesetz 1997) Drucksache 13/1720 S. 6.
  16. Dass sich Beamte selbst bei einem Wahlrecht zwischen unentgeltlicher Heilfürsorge und Beihilfeberechtigung für Letztere entscheiden, hatte sich bei der Zuordnung des Spezialeinsatz- und Personenschutzkommandos, der Polizeihubschrauberstaffel und des Landespolizeiorchesters zur Bereitschaftspolizei gezeigt. 2005, also fünfzehn Jahre nach der Zuordnung, waren noch mehr als 30 v. H. dieser Beamten beihilfeberechtigt.